05.06.2025 Verschiedenes – Redaktion
Vom Provisorium zum Zuhause
Ley-Bude eröffnet mit neuer Ausstellung
Das Museumsteam und Spender vor der Ley-Bude des Museums. Foto: FLMK
Ehestorf – Wie veränderte der Nationalsozialismus das Leben im Landkreis Harburg? Welche Spuren hinterließen Diktatur, Krieg und Verfolgung in der Region? Antworten gibt die neue Dauerausstellung „Harburg unterm Hakenkreuz. Ein Landkreis von 1933 bis 1945“ im Freilichtmuseum am Kiekeberg. Sie wurde am 30. Mai in der historischen „Ley-Bude“ eröffnet, einem originalen Behelfsheim aus der Endphase des Zweiten Weltkriegs. Mehr als 100 geladene Gäste aus Wissenschaft, Politik und Gesellschaft kamen zur Eröffnung. Sie fand im Rahmen der dreitägigen Living-History-Veranstaltung „1945. Der erste Sommer im Frieden“ statt. Am langen Wochenende besuchten rund 3.700 Interessierte die neue Ausstellung und schauten den 60 Darstellerinnen und Darstellern zu, die das Leben damals eindrücklich zeigten. Am Sonntag, dem 29. Juni, bietet das Museum um 12.00 und 14.00 Uhr erneut Führungen durch das Behelfsheim und die begleitende Fotoausstellung an. Die „Ley-Bude“ ist nun zu den regulären Museumsöffnungszeiten, dienstags bis freitags von 9.00 bis 17.00 Uhr und am Wochenende sowie feiertags von 10.00 bis 18.00 Uhr, zu besichtigen.
Sybille Kahnenbley, Vorsitzende des Stiftungsrats, kündigte an, die Ausstellung biete Einblicke in die politischen Umbrüche und den Alltag während der Zeit des Nationalsozialismus im Landkreis Harburg. Die „Ley-Bude“ ist das erste Gebäude aus dieser Zeit, das im Freilichtmuseum gezeigt wird. Museumsdirektor Stefan Zimmermann betonte in seiner Rede: „Wir eröffnen heute kein spektakuläres Haus sondern ein einfaches Gebäude mit großer historischer Aussagekraft. Damit schließen wir eine schmerzliche konzeptionelle Lücke unseres Freilichtmuseums.“ Basierend auf einer aktuellen Studie der Stiftung „Erinnerung Verantwortung Zukunft“ führte er an: „Viele Menschen in unserem Land haben teils große Lücken im Wissen zum Nationalsozialismus und zeigen eine sinkende Bereitschaft zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich.“ Er erklärte, Demokratiebildung komme nicht ohne die Kenntnis der NS-Zeit, des Zweiten Weltkrieges und seiner Folgen aus, sie fuße auf der Verarbeitung dieser Vergangenheit und der Übernahme historischer Verantwortung. „Auch dafür stehen wir als Freilichtmuseum am Kiekeberg“, sagte er.
Die „Ley-Buden“ wurden zwischen 1943 und 1945 gebaut, um den Wohnungsmangel durch die alliierten Luftangriffe zu verringern. Hinter vorgehaltener Hand erhielten sie in der Bevölkerung den abschätzigen Rufnamen als „Ley-Buden“ in Anlehnung an Robert Ley, den nationalsozialistischen Reichswohnungskommissar. Das Behelfsheim stammt aus der Lindhorster Heide bei Seevetal und wurde dem Museum von Peter Rathmann überlassen. Beim Pressetermin vor der Eröffnung erinnerte er sich an den Moment, als ihm der Wert des Gebäudes bewusst wurde: „Ich habe die ‚Nissenhütte‘ hier im Museum gesehen und dachte, meine ‚Ley-Bude‘ gehört auch hierher.“ Sein Vater habe die Hütte übernommen und ihm von den historischen Hintergründen erzählt. Später nutzte die Familie Rathmann die „Ley-Bude“ als Wochenendhaus. Bis auf den Boden, der erneuert und ein Fenster, welches zurückgebaut wurde, blieb das Gebäude nahezu unverändert.
Dr. Cornell Babendererde, Mitglied des Deutschen Bundestages, richtete ihr Lob an das Museumsteam: „Es ist Ihnen gelungen, diesen wichtigen Teil unserer Geschichte erfahrbar zu machen, sogar familiengerecht. Ich bin der Meinung, ihr hervorragendes Konzept ‚Gelebte Geschichte‘ sollte bundesweit Schule machen.“ Ein Besuch am Kiekeberg lohne sich aus vielen Gründen, vor allem zu diesem Aspekt, bestätigte sie.
Die stellvertretende Landrätin des Landkreises Harburg Anette Randt sagte in ihrem Grußwort: „In diesem Jahr, zum 80. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs, blicken wir besonders genau auf diese Zeit. Zum einen, weil es immer weniger direkte Zeitzeugen gibt und es immer kostbarer wird, ihre Erinnerungen einzufangen. Zum anderen, weil wir spätestens mit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine feststellen mussten, dass Frieden und Freiheit alles andere als selbstverständlich sind.“ Sie ist sich sicher, der regionale Bezug dieser Ausstellung und ihr besonderer Ort mache die Vergangenheit für die Besucherinnen und Besucher zudem noch greifbarer.
Der Kurator und Leiter für Wissenschaft, Ausstellung und Sammlung am Kiekeberg Chris Stölting erklärte: „Wir zeigen mit der ‚Ley-Bude‘ das Leid der ausgebombten Bevölkerung und die notdürftigen Verhältnisse, unter denen viele während des Krieges leben mussten.“ Genauso seien diese Behelfsheime aber auch als Teil der Kriegsmaschinerie der Nationalsozialisten zu betrachten, sagte Chris Stölting. Es ging damals auch darum, den Unmut in der Bevölkerung klein zu halten und das Regime für einen längeren Kriegsverlauf zu stabilisieren. Ausstellungsstücke wie ein Schulwandbild, eine Propagandatafel und ein Rucksack aus Eigenherstellung geben Einblicke in das örtliche Leben dieser Zeit. Anne Herrgesell, die Leiterin der Abteilung und Kuratorin ergänzte: „Die Behelfsheime sollten von den Ausgebombten aus lokalen Materialien in Eigenarbeit errichtet werden. Wie viele ‚Ley-Buden‘ im Landkreis Harburg gebaut wurden, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Sicher ist nur, dass ihm 1944 etwa 1.000 Behelfsheime zugewiesen wurden.“ Mit Möbelstücken in einem der beiden Räume zeigt das Museum, wie eng es in dem einstigen Behelfsheim für sechs Personen zuging.
Maximilian Leroux, Filialleiter der Hamburger Sparkasse, betonte die Bedeutung regionaler Erinnerungsorte. Die Hamburger Sparkasse unterstützte die Versetzung des Behelfsheims und den Aufbau mit 10.000 Euro. Heinz Lüers, stellvertretender Vorsitzender des Fördervereins des Freilichtmuseums, würdigte die Ausstellung in der „Ley-Bude“ als Beispiel für gelungene Zusammenarbeit von Museum, Förderern und Forschung. Der Förderverein und mehrere Privatpersonen steuerten jeweils 6.000 Euro bei. Die übrige Finanzierung übernahm die Stiftung des Museums.
Die Verwendung in der Nachkriegszeit in Hamburg dokumentieren etwa 30 Aufnahmen der Fotoausstellung „Ley-Bude“ von Enver Hirsch und Philipp Meuser, die noch bis 6. Juli ebenfalls im Freilichtmuseum zu sehen ist. Ihr Bildband „Behelfsheim“ ist im Museumsladen, unter behelfsheim.com und im Buchhandel erhältlich (35 Euro, ISBN 978-3-00-065630-9).
Der Museumseintritt für Erwachsene beträgt 11 Euro, für Kinder und Jugendliche ist er frei. Weitere Informationen finden sich online unter www.kiekeberg-museum.de.